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JAK-Hemmer bei Vitiligo auf dem Vormarsch (Prof. Dr. Markus Böhm)

05.03.2023 13:46:15

JAK-Hemmer stehen aktuell an der Schwelle zur klinischen Routineversorgung bei Patient*innen mit Vitiligo. Das Kürzel „JAK“ steht für Januskinasen. Hierbei handelt es sich um Enzyme, die Signale von außen in das Innere von Zellen übertragen und damit die Aktivität dieser Zellen beeinflussen. Januskinasen bilden eine ganze Familie von verwandten Enzymen, die in unterschiedlichem Maße in Entzündungszellen und Gewebezellen vorhanden sind. Bei einer Vielzahl von entzündlichen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen sind sie aktiv (z. B. bei kreisrundem Haarausfall und auch der Vitiligo) und bieten daher ein neues und vielversprechendes Ziel bei der Behandlung solcher Erkrankungen. Denn mit Hemmern der Januskinasen kann man Entzündungsprozesse stoppen. Medikamente, die Januskinasen hemmen, also JAK-Hemmer, sind dabei bei Gelenkrheuma schon jahrelang im Einsatz und klinisch gut erprobt, z. B. Tofacitinib. Gerade die nicht segmentale Vitiligo ist ebenso wie das entzündliche Rheuma eine Autoimmunerkrankung.

Erste Berichte über mögliche positive Effekte der JAK-Hemmer bei Vitiligo erfolgten in der Tat nach Beobachtungen bei Vitiligopatient*innen, die mit Tofacitinib oral - also mit Tabletten - behandelt wurden.

Hierbei handelte es sich um Einzelfälle und kleinere Fallserien, die zudem auch eine unterstützende Wirkung des Sonnenlichtes oder einer Lichttherapie nahelegten. Diese ersten vielversprechenden Beobachtungen haben in den letzten Jahren sowohl die Erprobung systemisch verabreichter JAK-Hemmer (also in Form von Tabletten) als auch die topisch verabreichter JAK-Hemmer (in Form von Cremes) vorangetrieben. Auch unser aktuelles Krankheitsverständnis der Vitiligo, dass nämlich Januskinasen Signale, die den entzündungsvermittelten Tod von Pigmentzellen bewirken und vermutlich auch das Krankheitsgedächtnis in der Haut mit steuern, hat dazu beigetragen. Derzeit laufen eine Reihe von klinischen Studien weltweit, bei denen systemisch verabreichte JAK-Hemmer erprobt werden. Unterstützt werden diese Vorhaben zudem durch die in jüngster Zeit zugelassenen systemischen JAK-Hemmer in der Dermatologie, d. h. bei atopischem Ekzem (Neurodermitis) und kreisrundem Haarausfall. In der Routineversorgung von Patient*innen mit Hauterkrankungen sind aktuell 3 JAK-Hemmer im Einsatz!

Am weitesten fortgeschritten in der klinischen Testung bei Vitiligo ist die topische Therapie mit dem JAK-Hemmer Ruxolitinib in Form einer Creme. Zugelassen in den USA bereits Ende 2022 bei nicht-segmentaler Vitiligo mit einem Befall von bis zu 10% der Körperoberfläche befindet sich dieser JAK-Hemmer aktuell im Zulassungsverfahren bei der European Medicines Agency (EMA). Erfreulicherweise liegt seit dem 24. Februar 2023 eine „positive opinion des Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMA vor, die die Zulassung von Ruxolitinib-Creme bei Vitiligo in Europa vorschlägt.

https://investor.incyte.com/news-releases/news-release-details/incyte-announces-positive-chmp-opinion-ruxolitinib-cream

 

Damit rückt die Zulassung des ersten speziell für Vitiligo zugelassenen Medikaments in Europa in greifbarer Nähe.

Die geplante Zulassung von Ruxolitinib-Creme bei Vitiligo basiert auf mehreren klinischen Studien, in denen Ruxolitinib-Creme im Vergleich zu Placebo (Creme-Grundlage) getestet wurde. In den aktuellen Phase-III-Studien - berichtet von Rosmarin et al. New Engl. J. Med. 2022; 387: 1445-1455 - wurden in zwei internationalen Multizenterstudien insgesamt 674 Patient*innen mit nicht segmentaler Vitiligo und einem Befall von bis zu 10% der Körperoberfläche eingeschlossen. Die Patient*innen wurden aus bis zu 49 Studienzentren in den USA und bis zu 17 Studienzentren in Europa rekrutiert. Die Patient*innen hatten alle Hauttypen von I-VI, wobei die Hauttypen I-III am häufigsten vertreten waren. Ein Teil der Patient*innen hatte Vortherapie wie z. B. Lichttherapie oder topische Calcineurin-Hemmer zuvor benutzt. Ruxolitinib als Creme (1,5 %, zweimal pro Tag) wurde gegen Placebo (Creme-Grundlage) getestet. Primärer Endpunkt war der F-VASI75 nach 24 Wochen, d. h. eine mindestens 75% ige Repigmentierung des Gesichtsbefalls der Patient*innen. Bei ca. 30% der Patient*innen wurde dieser Effekt erreicht und dies war gegenüber der Placebokontrolle signifikant, also statistisch bedeutsam. Mehr als 50% aller Patient*innen, die mit Ruxolitinib-Creme behandelt wurden, erzielten einen F-VASI50, also eine mindestens 50% ige Repigmentierung im Gesicht. In Bezug auf alle Körperherde erzielten etwa 50% aller Patient*innen eine mindestens 50%ige Repigmentierung (T-VASI50) nach 24 Wochen. Dieser Effekt war gegenüber der Placebokontrolle ebenso signifikant. In Übereinstimmung damit zeigte sich die Ruxolitinib-Creme auch gegenüber Placebo überlegen in patient*innen-orientierten Endpunkten wie der sog. Vitiligo-Sichtbarkeitsskala.

Interessanterweise war der Grad der Repigmentierung sogar noch deutlich höher nach 52- wöchiger Behandlung, was darauf hinweist, dass Ruxolitinib-Creme erst über einen längeren Zeitraum seinen repigmentierenden Effekt am stärksten erzielt. Es handelt sich hierbei also um eine langfristige Therapie, bei der nach wenigen Wochen oftmals noch kein Erfolg sichtbar ist. Auch sollte man bedenken, dass langfristig bestehende weiße Flecken und solche, die in Problembereichen wie den Handrücken, Fingerstreckseiten oder Fußrücken von Vitiligopatient*innen lokalisiert sind, sich nicht unbedingt erfolgreich mit der Ruxolitinib-Creme behandeln lassen. Hier besteht also individueller Aufklärungsbedarf aller Vitiligopatient*innen über ihre Erkrankung durch alle Behandelnden und darüber, was eine solche Creme leisten kann und was nicht.

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen bei 52-wöchiger Anwendung waren akneartige Veränderungen (bis zu 6,6% aller Patient*innen) und Juckreiz (bis zu 5,4% aller Patient*innen) am Ort des Auftragens der Ruxolitinib-Creme sowie Nasenracheninfekte (bis zu 6,1% aller Patient*innen).

Eine Therapie mit topischen JAK-Hemmern wie Ruxolitinib-Creme bei ausgedehnter Vitiligo mit mehr als 10% der Körperoberfläche erscheint demgegenüber wenig sinnvoll. Hierfür ist und wird diese Creme auch nicht zugelassen. Gleiches gilt für eine akute oder rapid fortschreitende Vitiligo, bei der der Krankheitsschub rasch und stark, möglichst von innen, zu unterdrücken ist. Hier müssen gerade systemisch verabreichte JAK-Hemmer (Tabletten) in Zukunft zeigen, wie gut sie sich in den aktuellen klinischen Studien bewähren. Hierbei könnte es sich auch zeigen, ob eine Kombination mit einer Lichttherapie sinnvoll ist.

Eine spannende und interessante Zeit also - sowohl für Patient*innen als auch alle Behandelnden!

Prof. Dr. Markus Böhm

 

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